VON PFÖRTNERN, ÄRZTEN UND ANDEREN KRANKEN

Die Personen:

Kalle Kröter

Pförtner, um die Fünfzig, verheiratet mit Margarete

Margarete Kröter

Hausfrau, etwa im gleichen Alter wie ihr Mann

Frau Doktor Damme

Oberärztin, Enddreißigerin, strenge Erscheinung

Doktor  Riedel

Assistenzarzt, Anfang Dreißig, attraktives Äußeres

Schwester Elke

Mitte oder Ende Zwanzig, aparte junge Krankenschwester

Fritz Erpel

Hausmeister, Alter und Aussehen beliebig

Olaf Fischer

Patient, im besten Alter

Cemal

Türkischer Kioskbesitzer

Ferner Nebenrollen:

1.Akt - Techniker/Besucherin/Frau Fleischer/Stimme über Sprechanlage 

3.Akt - Pfleger/Pflegerin 

ERSTER AKT

(Vor dem Schreibtisch seiner Leitstelle übt Kalle unbeobachtet verschiedene Tanzschritte. Zwischendurch wechselt er zu Dehnübungen oder trabt etc. Ein Techniker betritt die Leitstelle, von Kalle unbemerkt. Techniker bestaunt ungläubig das seltsame Verhalten. Als Kalle ihn wahrnimmt, hält er kurz inne, entschließt sich aber zur Fortführung und läuft provokant mit „Knie hoch“ an ihm vorbei)

TECHNIKER:

(trägt einen riesigen Karton)

Sag mal, Kollege … (ruft hinterher) Äh Kollege, bin ich hier richtig in der Leitstelle vom Krankenhaus (Braunburg)?

KALLE:

(läuft zur Eingangstür, schaut auf den Schriftzug, kommt zurück getrabt und wendet sich nebenher an den Techniker)

Ja! Krankenhaus (Braunburg)!

TECHNIKER:

(schaut ihn verwundert an)

Wer bist du denn, Schlauberger?

KALLE:

(tänzelt noch auf der Stelle)

Der Pförtner!

TECHNIKER:

Und da guckste jedes Mal nach, wenn du danach gefragt wirst?

KALLE:

Ach, weißt du, wenn ich so zufällig unterwegs bin ...

TECHNIKER:

Bist wohl neu hier?

KALLE:

(bleibt stehen nach einem letzten Ausfallschritt)

Ganz im Gegenteil. Freitag feiere ich Jubiläum. Dienstjubiläum!

TECHNIKER:

Also Altbestand!

KALLE:

(dabei zum Schreibtisch gehend, betont dienstlich)

Jetzt mal zu dir. Wer bist du, was bringst du?

TECHNIKER:

(leiert herunter)

Firma Computer-Feet. Habe den Auftrag, auf deinem Computer eine Software zu installieren, damit du bei Netzwerkausfall auf unverzichtbare Daten zurückgreifen kannst.

KALLE:

Mir wäre es viel lieber, du nimmst deinen Karton, so wie er ist, und verschwindest damit wieder.

TECHNIKER:

So lautet aber nicht mein Auftrag. Ich denke, du lässt mich jetzt ran an dein Gerät… (beschaut sich kurz Computer) denn umso schneller bin ich wieder weg!

KALLE:

Das Letztere höre ich gern!

TECHNIKER:

(reißt den mitgebrachten Karton auf)

Dann sind wir uns ja einig!

(Techniker holt aus dem großen Karton einen sehr kleinen Karton hervor, wühlt weiter, holt Installationsanleitungen hervor)

Griechisch. Chinesisch. Andalusisch. Französisch...

(schaut sie an, wirft sie in den Karton zurück, unterbricht sein Tun, als Kalle ihn immer kritischer beäugt)

Was guckst du so kritisch? Ich packe hier keine Wundertüte aus!

KALLE:

Da bin ich mir nicht so sicher …

TECHNIKER:

(setzt seine Aussortierung fort) Portugiesisch, Japanisch ...

KALLE:

Würde mich nämlich nicht wundern, wenn’s gleich Wumm macht!

TECHNIKER:

Englisch ... (schaut Kalle verständnislos an) Die Krankenhausatmosphäre scheint deinen Wahrnehmungsprozess zu zerrütten.

KALLE:

Willste die Backpfeife gleich oder später?

TECHNIKER:

Übernimm dich nicht. -- Bairisch. Polnisch. Ah, hier: Deutsch!! Na bitte!

(wirft die restlichen Anleitungen achtlos in den Karton, dann nimmt er eine CD dazu und setzt sich an Kalles Computer)

Dann werd’ ich mal eben die Installation vornehmen!

(Vor der Leitstelle erscheint Cemal, eine große Tüte tragend, Zeitungen unterm Arm)

CEMAL:

Hi Chef.

KALLE:

(wendet sich Cemal zu)

Ach, Cemal! Na, auf Auslieferungstour?

CEMAL:

Nur Kleinkram, Chef!

(er kämpft ein wenig mit der großen Tüte und zieht aus seiner Hosentasche ein kleines Fläschchen)

Neue Einlieferungen?

(weist mit dem Kopf auf Techniker und steckt Kalle gleichzeitig einen Magenbitter zu, den dieser etwas schamhaft in seine Manteltasche gleiten lässt)

KALLE:

Bisher noch nicht!

(mit Nachdruck in Richtung Techniker)

Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

(wieder normal)

Übrigens, Cemal, der Fritz Erpel wollte dich sprechen. Ich schau mal, ob er an seinem Platz ist.

(nimmt den Telefonhörer auf, drückt den Knopf auf dem Apparat)

Das nenn ich wahre Technik! – Knopfdruck, ordentliches Rufzeichen und zack ...

(in den Hörer)

Was heißt hier „was is’“? Kannst dich nicht ordentlich melden? Das heißt Krankenhaus (Braunburg), Hausmeister Fritz Erpel am Apparat! – Wie, ich melde mich auch nicht vorschriftsmäßig!? Du siehst doch, wer dich anruft!  -– Warum, warum? Cemal ist hier. - Gut, ich sag’s ihm.

(legt auf, zu Cemal)

Er ist in seiner Werkstatt, kannst durchgehen. Ach, Cemal!

(Kalle nimmt ihn beiseite, schaut verunsichert auf den Techniker, flüsternd)

Ich will, ich muss mit dir noch etwas besprechen. Ich feiere doch Dienstjubiläum am Freitag …

CEMAL:

Du hast Dienstjubiläum, Kalle? Gratuliere!

KALLE:

(Er bedeutet Cemal, nicht so laut zu sprechen)

Erst am Freitag, wie gesagt. Aber ich will, ich muss hier ja für die Kollegen und Kolleginnen quasi eine kleine Feier ausrichten.

CEMAL:

Was du brauchen, alder Freund? Isch kanne alles liefern, du weißt.

KALLE:

(deutet mit dem Kopf zum Techniker)

Wir reden später drüber. Was ich sagen will: Haste zufällig guten Tropfen Sekt zum Antesten dabei?

CEMAL:

(wühlt in seinen Tüten)

Sekt? Keine Probleme. Alles dabei. Konkret! -- Hier, schmecken wie Krimsekt.

KALLE:

(beguckt die Flasche, enttäuscht)

Hausmarke ...?

CEMAL:

Dir nicht gefallen? (zieht Etikett aus der Tasche) Dann wir tauschen Etikett aus!

TECHNIKER:

Also Kumpel, wenn du mir mal kurz deine Aufmerksamkeit schenken könntest - eingerichtet habe ich das Programm.

KALLE:

Wenn ich Zeit habe! Moment!

(zu Cemal)

Gut, alles Weitere besprechen wir später, Cemal!

CEMAL:

Ok! Alles klar, Alder!

(geht ab)

KALLE:

(geht zum Techniker)

So, Sohnemann, was hast du für Probleme?

TECHNIKER:

(schüttelt amüsiert den Kopf)

Probleme! Ich? Machen wir’s kurz: ich habe das neue Programm aufgespielt. Damit ist es künftig gleichgültig, ob du Netzwerk-Verbindung hast oder nicht. Das Programm aktualisiert bei Verbindung automatisch die entsprechenden Daten ...

(zeigt auf den Bildschirm).

Du klickst also hier dieses Icon an. So. Dann erscheint die Maske! Und du siehst, in welchem Zimmer der angefragte Patient liegt.

(Inzwischen steht ein Besucher vor dem Schreibtisch)

BESUCHER:

Guten Morgen, ich möchte zu Steffen Buchholz.

TECHNIKER:

Wie gesagt: das funktioniert jetzt mit oder ohne Netzwerk!

KALLE:

(an Besucher gerichtet)

Zu wem?

BESUCHER:

Buchholz, Steffen Buchholz. Auf welchem Zimmer liegt er?

TECHNIKER:

So, dann nehmen wir den Fall gleich mal als Beispiel. Du gibst den Namen ein. Wie heißt der Patient?

BESUCHER:

(bereits genervt)

Buchholz! Steffen Buchholz!

TECHNIKER:

Also Steffen Buchholz. Gibst den Namen also in die Suchmaske ein - und plopp! Schon ist das Ergebnis da!

KALLE:

Tja, lieber Herr, leer das Feld! Ein Steffen Buchholz liegt nicht bei uns!

BESUCHER:

Und ob er das tut! Ich habe vorhin noch mit ihm telefoniert!

KALLE:

Dieses Programm sieht das völlig anders.

TECHNIKER:

Hör mal, Schlauberger, die Daten geben sich natürlich nicht von selbst ein.

(Kalle grient triumphierend)

BESUCHER:

(ungeduldig)

Ich warte immer noch auf die Zimmernummer!

KALLE:

(weist stolz auf einen Karteikasten auf dem Schreibtisch, öffnet Deckel)

Mal keine Panik! Hier herrscht Ordnung. Wie heißt der Patient?

BESUCHER:

(bereits verärgert)

Buchholz!! Nach wie vor!! Steffen Buchholz!!

KALLE:

(blättert in den Karteikarten)

Habe ich sofort...Bebebebibibobobubuchholz, jawoll.. Hier haben wir ihn, Steffen Buchholz, Zimmer 401, 4.Stock.

BESUCHER:

(atmet tief durch) Danke vielmals!

(Besucher geht ab)

TECHNIKER:

(perplex)

Was denn? Du arbeitest zusätzlich noch mit Karteikarten?

KALLE:

Natürlich! Du siehst doch selbst, welche Schwachpunkte dein System hat!

TECHNIKER:

(schüttelt genervt den Kopf)

Ok! Was juckt’s mich? Wer quittiert mir die Lieferung?

KALLE:

Verwaltung. 1.Stock.

(holt den Magenbitter aus seiner Tasche)

TECHNIKER:

Ok. (drückt Kalle die Bedienungsanleitung in die Hand, schaut ihn an und reicht ihm zusätzlich eine Visitenkarte)

Ich gebe dir sicherheitshalber noch die Nummer von der Hotline. Bei deiner Begabung dürfte ne Standleitung anzuraten sein. Tschüss, Herr Pförtner!

(geht mit Karton ab)

KALLE:

(reißt den Magenbitter auf, verächtlich)

Großmaul! Ohne moderne Technik könntest du nicht mal Kaffee kochen!

(trinkt, erschrickt)

Ach du Scheiße, in diesem Laden kann man nicht mal in Ruhe seine Medizin einnehmen ...

(Kalle lässt Fläschchen in die Tasche gleiten, als Dr. Riedel die Leitstelle betritt)

RIEDEL:

Wohl bekomm’s, Herr Kröter.

(mehr beiläufig)

Sie sollten nur darauf achten, nicht zuviel davon!

KALLE:

(peinlich berührt)

Nee, nee, keine Sorge, Herr Doktor. Dosierung fein nach Empfehlung.

RIEDEL:

Sagen Sie, Herr Kröter. Ist ein Umschlag abgegeben worden für mich oder für die Kollegin Doktor von Damme?

KALLE:

Nee! Von ... von wem erwarten Sie denn Post?

RIEDEL:

Ja, die Frau Metzger ... äh Fleischer ...

KALLE:

Fleischer? Metzger? Ach, Sie meinen (deutet Trinkvorgang an) Schluckspecht Fleischer!

RIEDEL:

(verwirrt) Wen meine ich, meinen Sie?

KALLE:

Na, dieser Dieter Fleischer! Der auf der Inneren liegt ...

RIEDEL:

Ja genau! Aber wieso nennen Sie ihn Schluckspecht?

KALLE:

(jovial, so als ob er ihm ein Geheimnis unter Kollegen erzählt)

Doktor Riedel! Unter uns! Alkoholiker erkenne ich blind.

RIEDEL:

So? Woran denn?

KALLE:

Berufserfahrung! Reine Berufserfahrung, Herr Doktor. Schließlich feiere ich am Freitag mein 25jähriges Dienstjubiläum. 25 Jahre, Herr Doktor!

(greift beiläufig in die Tasche, zieht den Magenbitter heraus, nimmt arglos einen Schluck)

Glauben Sie mir, da entwickelt man einen diagnostischen Blick.

RIEDEL:

Weil Sie gerade von Feiern sprechen, Herr Kröter. Ich feiere auch demnächst – und zwar meine Festeinstellung. Aber nach Dienstschluss. Und Sie sollten es besser auch so halten ...

(streng)

Denn wie Sie wissen, ist sämtlichen Mitarbeitern der Alkoholgenuss während der Arbeitszeit strengstens untersagt. Und mit Äußerungen über Patienten sollten Sie künftig ebenfalls zurückhaltender sein, Herr Kröter.

(Schwester Elke betritt Leitstelle, sie trägt einen Schuh in der Hand, während Riedel sich in die andere Richtung zum Gehen wendet und von Kalle stumm nachgeäfft wird)

ELKE:

(freudig nachrufend)

Oh Herr Doktor Riedel!

(Riedel scheint wie vom Schlag getroffen, als Elke seinen Namen ruft)

(zu Kalle beiläufig)

Hallo Kalle!

KALLE:

Elke, Täubchen.

(betrachtet Elke wohlwollend, mit Blick auf Dr. Riedel)

Der erste erfreuliche Anblick heute …

(Inzwischen hat sich Riedel umgedreht und geht mit schmachtendem Blick auf Elke zu. Sie treffen sich genau vor Kalles Schreibtisch. Riedel ist unfähig, auch nur ein Wort zu formulieren)

ELKE:

Herr Doktor, ich habe gerade von Ihrer Festeinstellung erfahren. Das ist ja toll! Gratuliere Ihnen ganz herzlich! Ich freue mich ja so für Sie! Ich meine, dass Sie uns erhalten bleiben.

(Beide schauen sich verliebt an. Riedel ist von seinen Gefühlen dabei so überwältigt, dass er an Atemnot und trockener Kehle leidet)

RIEDEL:

(gackst)

Krchchkrkrk ...

(er fasst sich an den Hemdkragen, schaut aber Elke weiter unentwegt an. Nach einiger Zeit nimmt Kalle die neue Bedienungsanleitung und hält sie mehrmals zwischen die Köpfe von Elke und Riedel, was die Beiden aber nicht zu stören scheint)

KALLE:

(laut)

Kann ich sonst noch was für Sie tun, Herr Doktor??

(Die Beiden erwachen aus ihrer Versunkenheit.)

ELKE:

(etwas sauer) Was soll denn das, Kalle?

KALLE:

Ich wollte nur vermeiden, dass du dir die Augen verdirbst, Elke!

RIEDEL:

(fasst sich, wendet sich abrupt an Kalle, findet dabei seine Sprache wieder)

Äh krkr ach, Herr Kröter, äh äh ist inzwischen kr der Umschlag von ... von äh ...

KALLE:

(macht Trinkbewegung)

Fleischer? Nein! Nach wie vor nicht, Herr Doktor Riedel!

RIEDEL:

(überrascht)

Nicht??

KALLE:

Übrigens! Wollten Sie nicht wieder auf Station, Herr Doktor?

RIEDEL:

Ja, ja, klar! Geben Sie mir bitte die Unterlagen ... und den Umschlag, Herr Kröter, den Umschlag ... (schaut wieder verliebt zu Elke) Chchckrkrkr ....

KALLE:

(kommt herum, nimmt Riedel beiseite und schiebt ihn Richtung Ausgang)

Kommen Sie, Herr Doktor! Ich zeig Ihnen den Weg ...

ELKE:

Tschüss, Herr Doktor.

KALLE:

Der Herr Doktor sollte etwas zur Beruhigung nehmen. Chloroform zum Beispiel wirkt manchmal wahre Wunder! Mir hilft’s immer.

RIEDEL:

(flüsternd zu Kalle)

Diese Elke, einfach atem ... atemberaubend ...! (fasst sich wieder an Hemdkragen)

KALLE:

Ja, ja, die reinste Mischung aus Tretmine und Flammenwerfer.

(Riedel bleibt stehen, dreht sich zu Elke um, die stumm die Szenerie betrachtet. Er winkt ihr zu ... verdreht wieder die Augen und geht ab)

KALLE:

(geht zurück, sauer)

Hast dem Riedel ja ganz schön den Kopf verdreht!

ELKE:

Ich? Wie kommsten darauf, Kalle?

KALLE:

Der hatte ja bereits Atemstillstände.

ELKE:

Ich find’s nur schade, dass er mir gegenüber immer so stumm ist.

KALLE:

Wenn’s dem feinen Assistenzarzt bei anderen Gelegenheiten nur genauso die Sprache verschlagen würde. Mir hält er vorher noch lautstark ne Gardinenpredigt. Hör mir bloß auf mit der Ärzteschaft. Und so einem machst du schöne Augen.

ELKE:

(tätschelt ihn versöhnlich)

Ach, Kalle, komm. Rede doch keinen Quatsch. Gut, er gefällt mir schon. Ein bisschen. Aber ich bin doch nur eine kleine Krankenschwester.

KALLE:

Eben! Und außerdem tust du gut dran, der Oberärztin nicht ins Gehege zu kommen.

ELKE:

(erschrocken)

Frau Doktor von Damme?

KALLE:

(wedelt mit der Hand nach dem Motto, man munkelt ...)

Wenn du mich fragst: die ist scharf auf den jungen Rammler!

ELKE:

Kalle! Du verwechselst das mit deinen Karnickelböcken.

KALLE:

Von wegen! Dann weißt du nichts von der Vorliebe der Frau Doktor. Derzeit laufen doch die Vorsorgeuntersuchungen aller Mitarbeiter. Nicht einer, der sich nicht splitterfasernackt hat ausziehen müssen. Ganzkörperstatus nennt sie das.

ELKE:

Was hat denn Doktor Riedel damit zu tun?

KALLE:

Komm, lass gut sein! – Erzähl mir lieber, mein Täubchen, was dich zu mir führt? Willste mein Jubiläum mit mir vorfeiern?

ELKE:

Dein Jubiläum??

KALLE:

(beleidigt)

Übermorgen, falls du es vergessen haben solltest.

ELKE:

Nein, nein, ich hab’s nicht vergessen. Gotteswillen. Im Grunde geht’s sogar um dein Jubiläum.

(hält einen Schuh hoch)

 

KALLE:

(aufgekratzt, ohne auf sie einzugehen)

Ich übe bereits die alten Tänze, damit ich mit dir so’n richtigen Fetzer aufs Parkett legen kann. Willste mal sehen? (ohne Antwort abzuwarten beginnt er zu tänzeln, saust dabei von einer Bühnenseite zur anderen)

Na, was sagst du, Elke? Bin ich in Form oder nicht?

ELKE:

(ungläubig, unsicher)

Kommt deine Frau eigentlich auch zur Feier?

KALLE:

(bleibt abrupt stehen, barsch)

Margarete? Was willsten von der? Die tanzt nicht mit dir!

ELKE:

Muss sie auch nicht. Ich kann sowieso nicht mehr tanzen!

KALLE:

(verblüfft)

Seit wann kannst du nicht mehr tanzen?

ELKE:

Wegen dem Schuh hier … ist doch mein Jubiläumsausgehschuh!

KALLE:

Dein Jubi …? Was ist denn damit? (geht hinter den Schreibtisch zurück)

ELKE:

(wackelt am Absatz)

Der Absatz wackelt. Und damit kann ich unmöglich auf ... auf deinem Jubiläum ... mit dir tanzen!

KALLE:

(nimmt ihr den Schuh aus der Hand)

Zeig mal her … (untersucht den Schuh fachmännisch und dicht vorm Gesicht)

ELKE:

Du bist handwerklich doch so geschickt. Kriegst du ihn repariert?

KALLE:

Hol ihn heute Abend ab!

ELKE:

Heute Abend schon? Toll! (geht Kalle um den Bart) Dann wird’s ja doch was mit unserem Tänzchen zum Jubiläum. - Wen hast du eigentlich alles eingeladen?

KALLE:

(lapidar)

Wen soll ich eingeladen haben? Wer kommt, der kommt!

ELKE:

(vorsichtig nachfragend)

Doktor Riedel auch ...?

KALLE:

Wer kommt, der kommt.

ELKE:

Schon klar, Kalle. Ich muss mal wieder. Also dann, bis heute Abend ... (geht ab)

(Vom Eingang nähert sich Olaf Fischer, der an Kalle vorbei zu schleichen versucht)

KALLE:

Heh … heh ... heh! Wohin wollen Sie denn?

OLAF:

(trägt einen Bademantel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen)

Ins Krankenhaus!

KALLE:

Gratuliere! Sie sind angekommen!

OLAF:

(mit gepresster Stimme)

Zum Chefarzt, bitte gleich!

KALLE:

Nicht im Hause. Wer hat Sie eingewiesen?

OLAF:

Niemand! Bin freiwillig hier. Wer vertritt ihn denn?

KALLE:

Ehe ich Sie zu einem Arzt vorlasse, benötige ich erstmal Ihre Personalien!

OLAF:

Ich bin krank! Schwer krank …!

KALLE:

Worunter leiden Sie denn?

OLAF:

Tinnitus!

KALLE:

(laut)

Ach, Sie haben es an den Ohren?

OLAF:

(flüstert)

Bitte nicht so laut sprechen. Mein Gehör reagiert äußerst feinmotorisch auf jede Art von Geräusch. Während eines Anfalls fühle ich mich nämlich wie ein Kabelbaum. Habe einen Brummton auf beiden Ohren, so als ob Strom durch einen Traforaum fließt. Wie Sphärenrauschen … Und dazu diese furchtbaren Bilder …

KALLE:

(fasziniert, gebannt)

Was für Bilder?

OLAF:

Grausam. Ich sehe gigantische Karnickelböcke mit abgerissenen Köpfen und herausquellenden Venen, Adern, Nervensträngen …

KALLE:

Igittigitt! Was machen Sie denn dagegen?

OLAF:

Manchmal hilft klassische Musik. Aber nach einer Weile höre ich die Musiker atmen, den Cellisten ausholen und den Bogen schwingen … Dann geht gar nichts mehr.

KALLE:

Wie furchtbar! Sie sind ein klassischer Fall für die Oberärztin. Warten Sie, ich nehme vorher nur schnell Ihre Personalien auf. Sie heißen?

OLAF:

Fischer, Olaf Fischer!

KALLE:

(schreibt auf Karteikarte)

Olaf Fischer, aha! Ich kenne auch einen Olaf Fischer. Der ist mit mir zusammen im Vorstand vom Kaninchenzüchterverein.

OLAF:

Bingo, Kalle! (zieht sich die Kapuze aus dem Gesicht)

KALLE:

Mensch, Olaf, was sollen die blöden Scherze?

OLAF:

Ich glaube, Kalle, ich habe es eben lang und breit erklärt. (greift sich an die Ohren) Es geht wieder los. (stöhnt, ächzt) Irres Mampfen und Schmatzen, so wie von tausend Karnickeln gleichzeitig … ahhhh!

KALLE:

Halte durch, Olaf. Ich bringe dich sofort zu Frau Doktor von Damme. Die liebt solche Fälle … (tritt zu Olaf, mitfühlend besorgt)

Mir ist es gar nicht bekannt gewesen, wie sehr du unter Tinnitus leidest, Olaf. Warum hast du denn nie etwas gesagt?

OLAF:

Bitte, Kalle, lass uns das ein anderes Mal erörtern.

KALLE:

(schaut sich um)

Nur kann ich meine Leitstelle nicht unbesetzt lassen.

(sieht Fritz Erpel auf sich zukommen)

Ach, was für ein Zufall. Unser Hausmeister! Äh, Fritz, wohin …?

FRITZ:

(geht geknickt vorbei)

Zur von Damme. Vorsorgeuntersuchung. Bin fix und fertig!

KALLE:

Du willst doch erst hin!

FRITZ:

Eben darum!

KALLE:

Moment mal, Fritz. Ich habe hier einen Notfall. Deine Untersuchung muss warten.

FRITZ:

(macht sofort auf dem Absatz kehrt)

Aber gerne doch! Du müsstest der Oberärztin nur kurz Bescheid geben.

KALLE:

Mach ich! Komm, Olaf …(gehen ab)

FRITZ:

(den Beiden nachblickend)

Eigentlich ist es ja Beihilfe zur Misshandlung.

(schaut sich um, sieht den Computer an, setzt sich davor)

Dann wollen wir mal sehen, welche Mädels heute auf dem Markt sind.

(Margarete Kröter erscheint auf der Leitstelle, sie schleppt einen Karnickelstall)

MARGARETE:

Guten Morgen, Fritz!

FRITZ:

(schaut gebannt auf den Computer, ohne Margarete zu bemerken, zu sich)

Was für herrliche Fotos ... Mann oh Mann, da kann man direkt blind werden!

MARGARETE:

Na, Fritz, schwer beschäftigt?

FRITZ:

(erschrickt)

Oh, du Margarete?

MARGARETE:

Schauste dir Patientinnen an?

FRITZ:

Patientinnen? Ähem? Ja, ja, ja!

MARGARETE:

Schwere Fälle?

FRITZ:

Was? Nein! Eigentlich .. genau genommen … bereits Entlassene! Alle bumsfidel und bei bester Gesundheit. (stellt den Computer aus)

MARGARETE:

Wo ist denn Kalle?

FRITZ:

Kalle? Ja, ach so, ja Kalle ... der bringt einen Patienten in die Notaufnahme. – Was fehlt dir denn? Machst ja so ein besorgtes Gesicht.

MARGARETE:

Ja, weißt du, ich sehe in letzter Zeit alles immer so schwarz und sorge mich ständig.

FRITZ:

Was macht dich denn so besorgt?

MARGARETE:

Gesorgt habe ich mich ja schon immer. Solange ich denken kann. Immer habe ich nur das Schlimmste befürchtet. Bei allem …

FRITZ:

Und das 24 Stunden am Tag, was? Das kenne ich auch von meiner Mutter!

MARGARETE:

Zurzeit sorge ich mich sehr um Kalle. Er kommt manchmal so erschöpft nach Haus. Er hat ja auch eine große Verantwortung hier, und dann den ganzen Stress mit den Patienten immer.

FRITZ:

(mehr erstaunt)

Kalle? Verantwortung und Stress mit Patienten? Aha! (weist auf den Stall) Und jetzt bringst du ihm sein Mittagessen?

MARGARETE:

Gott bewahre! Im Stall ist sein Lieblingskaninchen! Es will nicht fressen … Hechelt so komisch.

FRITZ:

Hat wohl Sehnsucht nach dem Herrchen? (schaut in den Stall) Wie heißt er denn?

MARGARETE:

Das weißt du doch! Kalle Kröter!

FRITZ:

Ich meine den Hasen!

MARGARETE:

Das ist doch ein Karnickelbock, Fritz.

FRITZ:

Hat er trotzdem einen Namen?

MARGARETE:

Ja, natürlich! Hans Albers!

FRITZ:

Hans Albers? Etwa nach dem bekannten Schauspieler? Mochte Kalle den besonders?

MARGARETE:

Kalle benennt alle seine Kaninchen nach verstorbenen Schauspielern.

FRITZ:

Hans Albers! (steckt seine Finger in den Stall) Pischi, pischi, patsch! Dann sing uns doch mal was vor. Sang der Albers nicht „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“?

MARGARETE:

Ich weiß nicht, Fritz, glaubste wirklich, der kennt das Lied?

FRITZ:

Warum nennt ihn Kalle sonst Hans Albers?

MARGARETE:

Kalle sagt: ihm fällt’s leichter, die Kaninchen zu schlachten, wenn sie Namen von bereits Verstorbenen tragen. Sagt Kalle.

FRITZ:

Ich würde sie eher nach Ärzten dieser Anstalt taufen. Dann kommt beim Schlachten noch Freude auf!

(nimmt das Karnickel aus dem Stall)

Eigentlich sieht der ganz musikalisch aus. Vielleicht hat Kalle nur zuwenig geübt mit ihm. Nun los, Hans, sing für uns … eins zwei drei: „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du ein Karnickel bist oder auch keins, amüsierst du dich …“

MARGARETE:

Goldig … (mümmelt) Das Mäulchen geht auf und zu … Ganz goldig.

FRITZ:

(stellt sein Singen ein, enttäuscht)

Aber kein eigener Ton, nichts … völlig unbegabt! (packt es in den Stall)

(Kalle kommt zurück)

KALLE:

Nanu, Margarete? Was machst du hier? Und was soll der Stall hier?

MARGARETE:
Kalle, der Hans Albers will nicht fressen. Er hechelt auch so aufgeregt. Und ich hab’ mir gedacht, vielleicht isses was Ernstes?

FRITZ:

Bestimmt sogar! Hans will nicht singen.

MARGARETE:

Kann der überhaupt singen, Kalle?

KALLE:

Ein singendes Kaninchen? Ihr seid doch nicht bei Trost. Merkste denn nicht, Margarete, dass dich der Clown auf den Arm nehmen will?

(stellt den Stall auf den Schreibtisch)

FRITZ:

Sachte, sachte, Kollege. Grad eben hat er die Lippen synchron zur Musik bewegt. (macht ein mampfendes Karnickel nach) Stimmt’s, Margarete?

MARGARETE:

Was? Was? Also, äh, so genau … ich weiß nicht mehr …

KALLE:

(öffnet die Stalltür, greift hinein und streichelt das Tier)

Was fehlt denn meinem Häseken? Hast dich erschrocken, als du den Onkel sahst?

FRITZ:

Bring ihn lieber zum Singen, deinen Hans Albers!

KALLE:

(holt scheinbar zum Schlag aus)

MARGARETE:

Ich merke schon: es ist entschieden besser, wenn ich ihn gleich wieder mitnehme. Sonst geratet ihr nur in Streit.

KALLE:

Hier kann ich sowieso nichts für ihn tun.

MARGARETE:

Komm, Hans. Gehen wir! (nimmt den Stall)

FRITZ:

Ja, immer schön Gassi gehen mit Frauchen …

MARGARETE:

Und keinen Streit mehr … hört ihr? (geht ab)

KALLE:

(hinterher rufend)

Übrigens, Mutter. (nimmt Schuh in die Hand) Ich komme heute Abend später. Habe noch viel zu tun hier. (legt den Schuh ganz sachte zurück, setzt sich auf seinen Stuhl und wendet sich dem Computer zu)

Nanu? Der ist ja aus!

FRITZ:

Drück auf „On“ und er beginnt von vorn!

KALLE:

Ich würde das Ding am liebsten immer auslassen. Brauche den sowieso nicht!

FRITZ:

Schon klar. Du würdest hier lieber einen Karnickelstall aufstellen.

KALLE:

Richtig!

(Sprechanlage. Dr. von Damme meldet sich)

DAMME:

Kröter! Herr Kröter!

KALLE:

Hör dir nur an, wie die meinen Namen zermalmt. Und genauso behandelt die auch. (drückt Sprechtaste, überfreundlich)

Frau Doktor von Damme? Was kann ich für Sie tun?

DAMME:

Sagen Sie, Kröter, wissen Sie, wo ich den Kollegen Doktor Riedel finde?

KALLE:

Tut mir leid, Frau Doktor … keine Ahnung!

DAMME:

Wie bitte?

KALLE:

(laut) Ich sagte: Ich weiß es nicht!

DAMME:

Sollten Sie ihn sehen, richten Sie ihm aus, er soll bitte zu mir kommen.

KALLE:

Selbstverständlich, Frau Doktor. Sobald er mir über den …

(Sprechanlage klickt, Kalle wechselt den Ton)

… werde ich Ihnen den jungen Schlüpfer äh Hüpfer direkt in ihre Arme treiben!

(nimmt Elke’s Schuh in die Hand)

Mit größtem Vergnügen sogar!

(knallt den Schuh wütend auf den Tisch zurück)

FRITZ:

Die Damme nimmt jeden, den sie krallen kann. Da muss ich höllisch aufpassen.

KALLE:

So groß sehe ich dein Risiko nicht, mein lieber Fritz.

(Patient Olaf Fischer erscheint im Bademantel)

KALLE:

Olaf? Du lebst noch? Wie war denn die Audienz bei Frau Doktor?

OLAF:

Hör bloß auf. Erst ging’s gut los: ich musste mich nackt ausziehen …

FRITZ:

(kommentierend) Jeden, den sie krallen kann!

OLAF:

… weil sie zuerst immer einen Ganzkörperstatus macht, wie sie sagt.

KALLE:

Die Doktersche! Hemmungslos!

OLAF:

Nehme ich ja alles in Kauf. Aber ich akzeptiere nicht, dass ich nach Hause geschickt werden soll.

KALLE:

Haste ihr nicht geschildert, wie ausgeprägt deine Tinnitusprobleme sind?

(Olaf steckt sich Ohrkerzen in die Ohren)

OLAF:

Und ob! Grausamer kann man es gar nicht schildern. Sie aber erwidert nur: Nicht meine Körperfunktionen sind gestört, sondern meine Wahrnehmung. Hier haben Sie Ohrkerzen, die stecken Sie sich in die Ohren. Und dann …

(er zieht eine Blockflöte aus der Innentasche des Bademantels)

… blasen Sie auf der Flöte. Besser noch, Sie benutzen ein Didgeridoo!

KALLE:

Ein was?

OLAF:

Didgeridoo. Ist so’ne Art Alphorn für Ausländer!

KALLE:

Aha! Und wozu das?

OLAF:

Mit den Pressbewegungen übe ich Druck auf die Gehörgänge auf, meint sie. Dann höre ich angeblich die Tinnitusgeräusche nicht mehr. Und diese Übungen könnte ich auch Zuhause durchführen, sagt sie.

KALLE:

Was für’n Quatsch! Dann hättste dich doch gar nicht erst einliefern brauchen.

OLAF:

Eben! Genau das habe ich ihr auch gesagt. Ich bestehe auf einer umfassenden Untersuchung aller Körperfunktionen, habe ich ihr dann gesagt! Wenn ich schon nackt bin … verlange ich auch eine genaue Diagnose!

FRITZ:

Offenbar ein Masochist!

KALLE:

Und? Gibt’s einen abschließenden Befund?

OLAF:

Nein, nein! Soweit sind wir noch nicht. Gott sei Dank! Jetzt will sie erstmal das Untersuchungsergebnis abwarten, bevor sie eine weitere Analyse macht.

FRITZ:

(nachdenklich)

Analyse … hat das nicht was mit „anal“ zu tun?

OLAF:

Anal! Stimmt, die Prostata hat sie mir auch kurz untersucht. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie die ihren Finger in meinem Mmmmmh hatte.

(macht entsprechende Fingerbewegung)

KALLE:

Was habt ihr gegen eine kleine Hafenrundfahrt? Besser sie tut es, als einer dieser lausigen Assistenzärzte!

FRITZ:

Mir jedenfalls ist jede Lust auf Vorsorge für heute vergangen. Ich verschwinde wieder in meine Werkstatt.

OLAF:

Haste mal ne Lulle, Kalle?

KALLE:

Nee! Hier wird nicht geraucht, mein Lieber! Rauchverbot wie überall im Lande!

OLAF:

Wirf mal einen Blick auf meinen Bademantel. Siehst du die beiden Buchstaben?

KALLE:

P P?

OLAF:

Bedeutet Privatpatient! Also, ein wenig mehr Achtung, lieber Pförtner!

KALLE:

Ganz egal! Wenn du rauchen willst, geh vor die Tür. Oder mit Fritz in seine Werkstatt!

FRITZ:

Wenn die Schachtel anschließend dableibt - warum nicht?

OLAF:

Worauf warten wir noch?

(Beide gehen ab, begegnen Frau Fleischer, die zu Kalle geht)

FRAU FLEISCHER:

Ja, äh, junger Mann? Können Sie mir sagen …?

KALLE:

Ich kann Ihnen alles sagen, gute Frau. Ich bin der Pförtner hier!

FRAU FLEISCHER:

Ach, das trifft sich gut, dann bin ich ja gleich richtig.

(Die Sprechanlage piept)

KALLE:

Moment mal, gute Frau. Bei mir piept’s!

(wendet sich der Sprechanlage zu) Aha. Da scheint jemand an der Schranke zur Krankenhauszufahrt zu stehen. (drückt Sprechknopf) Ja, hallo, hier Leitstelle.

Stimme:

Ja, hier, guten Tag … ich ähem …

KALLE:

Sie blockieren die Einfahrt.

Stimme:

Machen Sie bitte die Schranke hoch. Ich kann so nicht durch.

KALLE:

Das ist auch nur Dienstfahrzeugen des Krankenhauses erlaubt. Sie müssen schon auf den Besucherparkplatz fahren! (zu Frau Fleischer) Manche würden am liebsten neben dem Krankenbett parken.

Stimme:

Hören Sie, hören Sie … Ich bin kein Besucher. Ich muss zum Arzt.

KALLE:

Auch beim Arzt ist das Mitbringen von Autos nicht erlaubt!

(zu Frau Fleischer)

Äh ja, Sie wollten zum zum zum … richtig?

FRAU FLEISCHER:

(wedelt mit Briefumschlag)

Ich habe hier einen Umschlag für Herrn Doktor Riedel.

KALLE:

Moment, ich rufe ihn!

FRAU FLEISCHER:

Nein, nein, hören Sie …

Stimme:

Hallo? Die Schranke ist ja immer noch unten!

KALLE:

Und das bleibt sie auch!

FRAU FLEISCHER:

Würden Sie mir schnell zwischendurch den Umschlag abnehmen und mir sagen, wo mein Mann … ?

Stimme:

Öffnen Sie bitte umgehend die Schranke!

KALLE:

Ja, hocken Sie auf Ihren Ohren? Nochmals: Fahren Sie auf den Parkplatz. Dort finden Sie genügend Abstellmöglichkeiten für Ihr Auto. Ende! (drückt Sprechknopf, wendet sich an Frau Fleischer) Manche Leute haben wirklich ein dickes Fell! – So, nun mal weiter im Text. Sie, gute Frau, wollten zum Riedel …?

FRAU FLEISCHER:

Nein, für Herrn Doktor Riedel möchte ich nur diesen Umschlag abgeben. Er sagte mir, ich solle den Brief beim Pförtner hinterlegen. (reicht Kalle den Umschlag, den dieser achtlos auf seinen Schreibtisch wirft) Wenn Sie mir freundlicherweise jetzt noch die Zimmernummer meines Mannes sagen. Fleischer, Dieter Fleischer!

KALLE:

Fleischer, Fleischer?

(macht Trinkbewegung)

Ach … weiß schon … der Fleischer!

FRAU FLEISCHER:

Was heißt: der Fleischer?

KALLE:

Ach, nichts weiter. (schaut in seinen Karteikasten, liest von einer Karte)

Versuchen Sie’s mal in Zimmer 144.

FRAU FLEISCHER:

Zimmer 144? Vielen Dank auch! (geht kopfschüttelnd ab)

(Sprechanlage piept erneut)

KALLE:

(drückt Sprechknopf)

Hier Pförtner! Was gibt’s?

Stimme:

Sie wollen es nicht anders. Ich werde jetzt die Schranke durchbrechen!

(Automotor heult auf, krachendes Geräusch)

KALLE:

Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Fährt dieser Saukerl doch tatsächlich die Schranke um. Warte, Freundchen, das wird dir teuer zu stehen kommen. (rennt hinaus)

(Pause. Cemal kommt herein, schaut sich suchend um. Geht dann wieder hinaus. Nach einigen Sekunden kehrt er zurück, diesmal trägt er ein Leichentuch über dem Arm. Auch Kalle kommt zurück, ziemlich fertig. Er lässt sich auf seinen Stuhl sinken. Dabei bemerkt er nicht, dass Cemal vor der Leitstelle steht und das Leichentuch wie eine Fahne ausbreitet)

KALLE:

(stöhnend)

Was für ein Tag! Lauter Verrückte! Und wer macht jetzt den Bericht über die kaputte Schranke? Ich! Wenn das so weitergeht, bin ich reif für die Kiste …

(schaut sich um, guckt auf das Tuch – zeigt jedoch keinerlei Reaktion, mehr beiläufig)

Das Leichentuch haben sie ja schon geliefert …

(Plötzlich wird ihm die Tragweite bewusst und er schreit auf) Ha! Haaa!

CEMAL:

(lugt hinter dem Tuch hervor)

He Chef. Was los? Hast Gespenst gesehen?

KALLE:

(panisch)

Das Leichentuch! Wozu das Leichentuch?

CEMAL:

Tolles Teil oder? Gehört äh zum Sarg draußen. Echt krass.

KALLE:

Sarg? Welcher Sarg? Wie kannst du es wagen, hier mit einem Sarg aufzukreuzen? Das ist ja pietätlos!

CEMAL:

Was regst du dich auf, Alder. Ist doch niemand drin. Komm mit, willst sehen?

KALLE:

Verschwinde bloß mit deinem Krempel. Was sollen meine Patienten denken, wenn sie auf dem Weg zur OP an deinem Sarg vorbei rollen?

CEMAL:

(zeigt Richtung Haupteingang) Was? Bei euch Patienten operiert im Hof??

- (Kalle tippt sicht an die Stirn) –

Aber tu abregen, Chef. Sarg und Leichentuch … alles für Fritz Erpel!

KALLE:

Fritz? Was will der denn damit?

(Elke erscheint vom Haupteingang)

CEMAL:

Keine Ahnung! Musst fragen ihn, Chef.

ELKE:

Sag mal, Kalle. Draußen der Sarg - wer ist denn gestorben?

KALLE:

Ach, niemand! Der Cemal … der Cemal hat sich nur einen Spaß erlaubt.

(macht mit dem Kopf Zeichen, Cemal möge verschwinden)

ELKE:

Wusste gar nicht, dass du Bestattungsbedarf verkaufst in deinem Kiosk, Cemal.

CEMAL:

Isch liefern alles, Elke.

ELKE:

(beguckt sich das Tuch)

Besonders schön sieht es nicht aus. Viel zu grell!

CEMAL:

Dafür Sarg pechschwarz, wie Benz bei Nacht.

KALLE:

Nun verschwinde endlich mit dem Kram!

CEMAL:

Sofort! Ich eile! Bin schon weg … -

(aus dem Off hört man das knarrende Öffnen eines Sargdeckels, gleich darauf wird Deckel wieder geschlossen. Elke und Kalle starren sich entgeistert an. Cemal kehrt mit Piccolo zurück und stellt sie auf Kalles Schreibtisch)

Bitte, Kalle. Habe dir versprochen. Hier! Mit Original Etikett! (blinzelt mit den Augen)

KALLE:

(liest) Veuve Cliquot (buchstabengetreu gelesen) Feinster Champagner! Das werden wir gleich mal testen … (öffnet Flasche, trinkt Schluck) Ja, Cemal, mein Lieber, das schmeckt doch gleich ganz anders wie deine Hausmarke!

CEMAL:

Meine Meinung! Bevor schimpfen, immer erst Etikett lesen. Aber kostet teuer! Keine Angst, Kalle: für dich – machen gute Preis. Wir sprechen morgen! Ich mussen zu Fritz … (greift in eine Tasche, gibt Elke ebenfalls einen Piccolo, lächelt sie freundlich an, geht ab)

ELKE:

Oh, danke, Cemal!

KALLE:

(nimmt ihr die Flasche ab)

Im Krankenhaus ist Alkohol verboten. (Elke will protestieren) Überleg mal, der Riedel taucht auf – und du hier mit der Flasche in der Hand!

ELKE:

Oh Gott, da habe ich gar nicht dran gedacht. Das wäre ja peinlich.

(Kalle deutet an: „Na siehste“. Elke hat inzwischen ihren Schuh auf dem Schreibtisch entdeckt und nimmt ihn an sich)

ELKE:

(entsetzt)

Jetzt ist der Absatz ja ganz ab. Wie hasten das geschafft, Kalle?

KALLE:

Was habe ich geschafft?

ELKE:

Mein Schuh! Du wolltest ihn doch reparieren. Und nun ist der Absatz ganz ab!

KALLE:

Also, Elke, wie ich eine Reparatur vornehme, musste schon mir überlassen. Bin eh fix und fertig. Erstmal entspanne ich mich jetzt für fünf Minuten.

(zieht Schublade seines Schreibtischs auf, greift hinein und holt ein Fläschchen heraus) Ah! Wunderbar! Chloroform!

(er riecht daran und schüttet anschließend etwas auf seine Oberbekleidung)

Ah, das beruhigt. Und tut so gut …

(er lässt langsam den Kopf auf den Schreibtisch sinken)

Nur fünf Minuten …

ELKE:

(schaut sich das Fläschchen an)

Nimmst du immer Chloroform zur Beruhigung?

KALLE:

(mit schwerer Stimme)

Äther, Chloroform, was weiß ich … alles, was verfügbar ist.

ELKE:

(streng)

Was du da machst, ist im höchsten Grad ungesund. Das ist dir doch klar, Kalle?

KALLE:

(nimmt den Kopf wieder hoch, grinst Elke freundlich an)

Ach du Elke! Welcher Glanz in meiner Leitstelle.

ELKE:

(verunsichert) ´

Was grinste mich denn so komisch an? Is’ was mit mir?

KALLE:

Kolossal, Elke. Wenn ich nur deine ausladenden ... (zeigt mit den Händen Wölbung der Oberweite an) betrachte, beginnen mir bereits die Zahnfüllungen zu schmelzen. (rutscht ein wenig tiefer in seinem Stuhl)

ELKE:

Du immer mit deinen … (etwas milder gestimmt) ... mit deinen unmöglichen Vergleichen!

(Kalle rutscht inzwischen fast vom Stuhl, rappelt sich fluchend hoch)

ELKE:

Ich hoffe, du bist jetzt wieder bei Verstand!

KALLE:

Aber klar, mein Täubchen. Der gute Onkel hat doch nur mal kurz meditiert.

ELKE:

Langsam bezweifele ich, ob du das mit dem Schuh überhaupt hinkriegst.

KALLE:

Elke! Keine Sorge. Natürlich kriege ich das hin. (schaut zur Uhr) Margarete ist schon mit dem Werkzeug unterwegs. Bis zu meiner Jubiläumsfeier ist der Absatz wieder dran. Versprochen! (nimmt einen Piccolo in die Hand) Inzwischen können wir uns mit einem kleinen Schluck die Wartezeit verkürzen.

ELKE:

Eben sagtest du doch noch: Alkohol während der Arbeitszeit ist streng verboten!

KALLE:

Zu Recht. Aber ich bin immer im Dienst. Da muss ich zwangsläufig auch mal ein Schlückchen trinken zwischendurch. Zu wenig Flüssigkeit schadet dem Körper! Das weißt du doch!

ELKE:

Du biegst dir alles so zurecht, wie du es brauchst, Kalle.

KALLE:

(hat die Sektflasche inzwischen geöffnet, öffnet Schublade und holt zwei Gläser heraus, schenkt den Sekt ein)

Das hier ist genau die Menge, die dem Kreislauf gut tut.

ELKE:

Stell dir nur vor, der Doktor Riedel käme tatsächlich vorbei.

(sie schaut sich dabei um, wohl hoffend, dass es so wäre)

KALLE:

Übrigens: du solltest dich mit der Ärzteschaft lieber nicht einlassen, liebe Elke.

ELKE:

Was sollen eigentlich diese blöden Andeutungen immer, Kalle?

KALLE:

Och! Man sieht und hört so allerlei. (mit leicht erpresserischen Unterton) Aber ich schweige. Wie ein Grab. Wenn’s dein Wunsch ist …

(drückt ihr Sektglas in die Hand)

So, Elke, auf uns beide. Prösterchen!

ELKE:

(zögernd) Ja, Prost!

(Kalle trinkt das Glas leer, Elke nippt nur dran)

KALLE:

(schenkt sich Glas wieder voll)

Schmeckt er dir?

ELKE:

Eher nicht, Kalle. (stellt Glas ab)

KALLE:

(drückt es ihr wieder in die Hand)

Mein Gott, Elke. Nun sei nicht so ängstlich! Komm: Prost!

ELKE:

(windet sich)

Aber nur das eine Glas!

(Beide trinken. Kalle rückt näher an Elke heran und beginnt zu schnüffeln)

ELKE:

(verunsichert)

Rieche ich etwa?

KALLE:

Wunderschön, Elke! Wie frischer Tau auf meinem Karnickelfutter …

(schnüffelt weiter)

ELKE:

Das … das kann man von dir weniger behaupten. Du riechst immer noch nach Chloroform. – Also, Kalle, hör endlich auf, wie ein Hund an mir herumzuschnüffeln!

KALLE:

Ich fühle mich eher wie ein reifer Kater, der den warmen Herd sucht, Elke.

ELKE:

Kalle, deine Vergleiche verwirren mich. Lass ab endlich, aus! Bitte!

(Elke weicht zurück bis zum Schreibtisch, immer gefolgt von Kalle. Ihr Blick fällt auf das Chloroformfläschchen. Sie nimmt es in die Hand und hält es dem schnüffelnden Kalle unter die Nase. Der verdreht die Augen, fällt auf seinen Stuhl, fährt damit an den Schreibtisch heran und knallt mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte, während Dr. Riedel die Leitstelle betritt, von Elke noch unbemerkt.)

ELKE:

Kalle! Kalle! Wach auf. (rüttelt an Kalle) He, Kalle, aufwachen!

KALLE:

(brabbelnd)

Olala!

(Kalle greift mit den herunterhängenden Armen nach Elke, zieht sie zu sich heran)

Elke … oh Elke! Du Wunder der Natur … !

ELKE:

(versucht mit aller Kraft, sich zu befreien)

Mensch, Kalle, wenn uns jemand sieht!

(Dr. Riedel ist stehen geblieben und betrachtet entsetzt die Situation. Er greift sich an den Hals, ringt nach Luft)

ELKE:

(sieht bei ihrem Befreiungsversuch plötzlich Riedel)

Doktor Riedel? Wie … wie … wie ... (panisch, verstärkt ihren Versuch, sich aus Kalles Armen zu befreien)

Glauben Sie bitte nicht, was Sie sehen, Herr Doktor. Bitte nicht ...

(Kalle hält sich voll an Elke fest, die beim Befreiungsversuch einknickt und mit ihm zu Boden stürzt)

RIEDEL:

(enttäuscht, wütend, dann mit überschlagender Stimme rufend)

Krkr Ich hätte Sie für klüger gehalten, Schwester Elke! Wirk ... wirklich!! (geht ab)

ELKE:

(bewundernd)

Sie können ja richtig laut werden, Herr Doktor!

(schaut auf Kalle, der immer noch ihren Fuß hält. Sie befreit sich und tritt Kalle leicht) Alles nur deine Schuld, wenn er jetzt Falsches von mit denkt! Und ausgerechnet jetzt, wo er nicht mehr stumm ist. Verdammter Mist!!

(geht schimpfend ab, kommt aber noch einmal zurück, schnappt sich Schuh und Absatz. Dann wirft sie einen bösen Blick auf Kalle, der betäubt am Boden liegt - und geht ab)

Vorhang