D I E @ H E N N E

- Kurzgeschichte von Axel Zierer -

Neulich wollte ich eine Freundin zur verabredeten Zeit beim Friseur abholen, da sitzt sie noch unter der Haube, mit Farbe und Alufolie bestückt. Ich bewundere ihr außerirdisches Aussehen, als eine Frau im zweitbesten Alter mit lockigem braungrauem Haar in den Salon rauscht und sich japsend in den Frisiersessel neben meine Alienfreundin plumpsen lässt.

Ich setze mich seufzend und stelle mich auf das übliche Blabla beim Friseur ein: Frauen im zweitbesten Alter genießen es bekanntlich, wenn ihnen der Kopf gewaschen wird und Kaffee, Kekse und Zeitschriften gereicht werden. Sie lesen begierig, was sie sonst natürlich niemals läsen, über Leute, die ihnen eigentlich sowas von egal sind. Und das Ganze wird kommuniziert und kommentiert. Doch heute kommt es anders.

„Einmal waschen und legen, wie immer?“ – „Nein!! Raspelkurz und pumuckelrot, bitte!“ – „Jaaah, gern, aber...Sind Sie sicher?“ – „Absolut! Das ist definitiv meine letzte Chance, um das Problem zu lösen!“  Ich sehe, wie meine Freundin die Ohren spitzt. Einmal nicht der übliche Tratsch und Klatsch? Während die Friseuse ihre Gerätschaften bereit legt, beginnt die Frau im zweitbesten Alter zu erzählen.

„Wissen Sie, das Problem ist eins meiner Hühner!“ Die Friseuse schaut etwas irritiert. Meine Freundin befreit ihr Ohr von der knisternden Alufolie. „Dieses verdammte Huhn. Stellen Sie sich vor,“ führt die Frau erbost aus, „die Henne legt kein einziges Ei im Stall. Alles habe ich versucht, um ihr das Eierlegen zum Vergnügen zu machen. Das Nest mit duftendem Heu ausgestopft, Blumen darum gelegt, Körner gestreut. Und? Immer das gleiche Resultat: kein Ei im Stall. Sie legt ihre Eier stur in die Nachbargärten oder sonstwohin. Das Gespött können Sie sich vorstellen. Um mich auf die Schippe zu nehmen, fragt die Nachbarschaft ständig an, ob ich ein Stück Kuchen haben möchte, schließlich wäre dieser mit den Eiern meiner Henne gemacht. Ich ticke regelmäßig aus.“

Die Frau im zweitbesten Alter schaut im Spiegel auf die Friseuse, die gebannt mit der Schere in der Hand auf die Fortsetzung der Geschichte wartet. „Dann habe ich härtere Maßnahmen angewendet. Hab sie nicht um 8 Uhr rausgelassen wie sonst, sondern erst zwei Stunden später. Und wissen Sie, was passiert ist?“ Im Friseurladen ist es mucksmäuschenstill geworden. Die Spannung ist förmlich mit Händen zu greifen. „Diese verdammte Henne springt mit zusammengepressten Arschbacken durch den Stall, hetzt an mir vorbei und huiii! ab nach draußen und weg!“

Schmunzeln, sogar vereinzelte Lacher im Salon. „Gestern nun dasselbe Spielchen. Mit einem Unterschied: kaum aus dem Stall, verliert die Henne das Ei. Ich sehe es, renne hin. Die Henne fixiert mich mit schief gelegtem Kopf, wir stehen uns gegenüber wie bei einem Duell. Und dann geschieht es ...Ich greife nach dem Ei, da hackt das Aas es blitzschnell und glatt in zwei Teile. Ihr triumphierendes Gegacker verfolgt mich selbst noch im Schlaf. Aber das Vieh wird mich jetzt kennenlernen.“ 

Meine Freundin lauscht gebannt. Die Frau im zweitbesten Alter richtet sich im Stuhl auf:  „Das Verhalten von dieser Henne ist eindeutig gegen meine Person gerichtet. Deshalb will ich jetzt mit dem Radikalhaarschnitt mein Äußeres verändern. Vielleicht kommt sie mit mir besser zurecht, wenn mein Gefieder dem ihren gleicht.“

„Und wenn das nicht hilft?“ Die Damen im Salon schauen sich beklommen an, keine traut sich auszusprechen, was ich meiner Freundin zuraune: „Dann kommt das Tomahawk zum Einsatz.“

Da rettet die praktisch veranlagte Friseuse die Situation: „Wieso versuchen Sie es nicht zusätzlich mit Gackern?“

Befreites Lachen von allen Frisiersesseln.

Siehst du, sagt meine Freundin später beim Verlassen des Salons, jetzt hast du selbst mal mitgekriegt, wie beim Damenfriseur zweckmäßige Lebenshilfe verabreicht wird.

c/Dez.2015