Unlängst lockte mich eine Veranstaltung mit einer antiken Redensart: „Jemandem etwas abknöpfen“. Voraussetzung für jeden Teilnehmer war das Erscheinen im zeitgenössischen Zwirn und der Besitz von Zahlungsmitteln aus dem Mittelalter. Als ehemaliger Banker traute ich mir das zu. Als Gewand wählte ich eine Schecke. Diese Jacke ist im Taillenbereich sehr eng geschnitten, im Brustbereich offen und mit viel Baumwolle ausstaffiert. Zudem vorn besetzt mit drei wertvollen Knöpfen. Das dazu passende Hemd ist weit ausgeschnitten, die Ärmel glatt und bis zum Handgelenk enganliegend, die Handschuhe parfümiert. Am Leibgurt trug ich einen Dolch und meinen Geldbeutel. Gefüllt war die Geldkatze aus altem Familienbesitz mit allerlei Geldstücken wie Reichstaler, gute Groschen, Gulden und Kreuzer.

Derart ausgestattet fühlte ich mich wie Sigurd aus dem 50er Jahre Schund-Comic von Hansrudi Waescher und zog los zum Veranstaltungsort, einer berühmten Burg im Ostharz. Der Vogt musterte mich aufmerksam, als ich ein Pergament aus dem Wams zog, um meine Legitimationsprüfung zu vollziehen. Er zog mich zur Seite und wies auf meine nackten Beine: „Er vergaß wohl, seine Beinkleider anzulegen?“

Nein, nein, beruhigte ich, die Verkürzung des Oberrockes zur Schecke sei absolut trendy – und er solle sich keine weiteren Sorgen machen. „Ich ermahne ihn!“ entfuhr es dem Vertreter des Burgherrn: „Drinnen sind Zartbesaitete, und wenn er sich bückt, könnte man ihm in den Allerwertesten schauen. Solch Anblick würde viele Anwesenden verwirren.“ Ich verwies auf meine kurze sackartige Unterhose, die meine Scham vorn und hinten ausreichend bedeckte. Das müsse genügen. Und fügte keck hinzu, dass Gesetzeshüter gern den Teufel an die Wand malten und Antiveganes sähen, wo keines sei. Der Vogt grollte ein wenig: „Wenn er seine Beine nicht mit langen Strümpfen bedeckt und sie mit Nesteln am Gurt befestigt – seine Sache. Doch bei der geringsten Beschwerde wird er Zaungast oder in Ketten gelegt.“  Allerlei Firlefanz, mumelte ich und beendete das unangenehme Zutrittsritual, indem ich abwinkte und zu dem höfischen Treiben eilte, das inzwischen auf dem Innenhof der Burganlage begonnen hatte.

„Wo drückt der Schuh?“ Der unangenehme Kerl, fettwanstig und mit feisten Gesichtsbacken, in denen sich Pusteln, Quaddeln und manch weiteres Ekliges tummelten, baute sich vor mir auf und ergriff meinen Arm. „Name, Schuldenstand.“  Das ungehörige Auftreten dieses Fettfrosches überraschte mich. Im Geiste hatte ich mich auf die Begegnung mit einem drallen Burgfräulein programmiert – und nun so etwas. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Er packte mich am Schlawittchen: „Zugehört und aufgepasst.“ Seine freie Hand ließ ein Pergament ausrollen: Es drohe Schande über mich. Nur die sofortige Begleichung der aufgeführten Gesamtschuld verhindere den Schuldenturm. Zur Unterstreichung der Ernsthaftigkeit seines Anliegens ließ er das Pergament fallen und ballte die Hand zur Faust. In meiner Furcht vor ordentlich Dresche überliess ich ihm klaglos mein Bares. Doch die Summe schien nicht auszureichen. Denn im Nu drehte der Widerling von meiner Schecke die drei wertvollen Knöpfe ab, zückte alsdann einen Gänsekiel und quittierte auf dem Pergament.

Ich, bass erstaunt über das seltsame Tun meines Gegenübers, drückte mit gegebener Vorsicht aus, dass der Spaß jetzt ein Ende hätte, und forderte mein Scherflein zurück. Der Recke öffnete sein Froschmaul, bleckte die gefärbten Zähne und stieß satt ins Horn: „Du ahnungsloser Tölpel. Kommst zu einer Veranstaltung, die die Redensart „jemandem etwas abknöpfen“ zum Motto hat, und beschwerst dich über den Vollzug. Sei froh, dass dein Vermögen erhalten bleibt, auch wenn es nicht mehr dir gehört. So, und nun troll dich.“

Draußen auf der Zugbrücke über den Burggraben hielt ich inne. Wie zum Teufel konnte mir nur eine derartige Panne widerfahren? Ernüchtert entledigte ich mich meiner Kleidung und ließ den teuren Brokat ins seichte Wasser des Kanals gleiten. Hinweg mit der äußerlichen Symbolik von Reichtum und Blendwerk. Den Dolch behielt ich jedoch zwischen die Zähne geklemmt. Für alle Fälle...

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REDENSART
Kurzgeschichte von Axel Zierer