1958. Wir wohnten beengt mit 5 Personen in einem Zwei-Zimmer-Loch, wie meine Mutter unsere Wohnstatt zu nennen pflegte. Mit an Bord ein kleines Grundig-Radio, zwei Sender inklusive. Wenn Musik plärrte, dann Volkstümliches oder populäre Schlager im damaligen Zeitgeist - und irgendwie immer zwei Jahre nach jeweiligem Erscheinen. Von Rock'n'Roll oder ähnlich Revolutionärem nirgends eine Spur. Doch gab's in meinem kleinen Heimatort zwei Kinos. Mein Bruder und ich besuchten oftmals die Nachmittagsvorstellungen am Sonntag. Zumeist alte Western wie "Die Todespeitsche" oder "Von Banditen befreit" mit Lassy la Roc und Fuzzy St.John. Nicht schlecht. Und es verwundert wohl nicht, dass die meisten Jungs unserer Altersklasse nach Abschluss der Schule Cowboy werden wollten. Eines Sonntags dann der Wahnsinn, die Revolution, das Ereignis schlechthin. Ein Film mit Peter Kraus und Conny Froeboss: "Wenn die Conny mit dem Peter". Die 50er Jahre-Filmwirtschaft deutschen Zuschnitts reagierte damit auf die neue Jugendkultur aus den USA. Peter Kraus agierte als „bieder-braver Elvis-Presley-Verschnitt“, während Conny Froboess „das saubere Mädchen von nebenan“ verkörperte. Für uns jedoch war der Film eine totale Offenbarung, erstmals überhaupt kamen wir mit "Rock'n'Roll" in Berührung - oder was wir seinerzeit dafür hielten. Manche Zeitgenossen, die inmitten amerikanischer Besatzungszonen und mit AFBN aufwuchsen, hätten sich angesichts dieser orgiastischen Ausbrüche vor Lachen wohl gekrümmt, doch für uns eröffnete sich erstmals eine neue Welt. Peter verkörperte seinerzeit für uns das unbeschwerte Leben, ein wenig Luxus, ein wenig Leichtsinn, ein bisschen frech und frivol, aber nie unanständig und überzogen, Erfolg bei den Mädels, gute Stimme, gute Laune, strahlendes Lachen. Ich sah Peter Kraus im Film und Fernsehen und war immer ein wenig fasziniert von seinem Auftreten und seinem Erfolg.
54 Jahre später. Mein Idol einstiger Jugendjahre, Peter Kraus, den deutschen Elvis (zwar Sohn eines Österreichers, aber egal, wir annektieren gerne) hatte ich nie live gesehen. Zum einen war er von der musikalischen Entwicklung überholt wurden, zum anderen hatte sich mein Geschmack in den 60er Jahren auf Stones, Kinks und Animals verlagert.
Als ich nun von seiner (vermutlich letzten) Tournee las, wollte ich mich selbst von seiner Ausstrahlung überzeugen. Und nicht nur deshalb, weil man mir in meinen Jugendtagen nachsagte, es bestünde eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Peter Kraus und mir – was mir nicht unangenehm war...
Also ergatterte ich vor einigen Monaten eine der letzten Karten im Hamburger CCH – er gab dort zwei Konzerte vor jeweils 1500 Besuchern – und machte mich auf den Weg. So ein bisschen erschrak ich denn doch angesichts der vielen weißhaarigen alten Damen und Herren, die mit ungebrochenem Elan den Saal enterten. Über die Vielzahl von Rollatoren blickte ich diskret hinweg. Meinen Sitzplan befreite die nette Nachbarin bereitwillig von ihren dort geparkten Gehhilfen. Als schließlich Peter Kraus erschien und dem jugendlich gestimmten Publikum tüchtig einheizte, wunderte mich nichts mehr. Meine Sitznachbarin schnappte sich die Gehhilfen und schwenkte sie halsbrecherisch über unseren Köpfen. Wenn man die Augen schloss, klang das Kreischen der betagten Damen wie vor 50 Jahren. Wann wohl die ersten Schlüpfer fliegen – in large Size, wie Peter Kraus liebevoll spöttelnd anmerkte? Rührend zu sehen, wie sich die Hände der Paare verstohlen ineinander verschränkten, wie die Augen leuchteten und die Jugenderinnerungen zurückkehrten. Sugar Baby fühlte sich wieder versetzt in die Anfänge des Lebens. Peter Kraus vergisst zwar nie, sein Alter zu erwähnen – er muss dies auch, denn er sieht verdammt jung aus für seine 73 Jahre, und beweglich ist er auch noch. Und er versteht es fantastisch, seinen Fans das wunderbare Gefühl zu vermitteln, in einer superschönen Zeit jung gewesen zu sein. So zog ich zufrieden von dannen in der freudigen Erkenntnis, mit meiner kindlichen Begeisterung nicht falsch gelegen zu haben.